Von plagender Ungewissheit, ¨¹ber selbstgebrautes Ananasbier und Online-Learning in Afrika. Erfahrungen, die mich ein Leben lang pr?gen werden.

29.07.2020, von Lukas Hassdenteufel (6. Semester Wirtschaftsingenieurwesen Bau und Immobilien)

F¨¹nf Monate Studium in Port Elizabeth bis Mitte Juni, anschlie?end noch 3-4 Wochen S¨¹dafrika durchqueren, bevor es mit dem Rucksack durch Namibia und sp?ter ¨¹ber Botswana zu den Victoria Falls geht. Letzter Stopp Tansania, dann wieder zur¨¹ck nach Deutschland ¨C R¨¹ckflugdatum? Offen. So oder so ?hnlich sah der Plan f¨¹r die vermutlich aufregendste Reise meines Lebens aus, als ich am 23. Januar 2020 in den Flieger ans andere Ende der Welt stieg und Corona bis dahin nur als mexikanische Biermarke kannte. Jetzt, Anfang Juli und immer noch in S¨¹dafrika, bin ich eigentlich noch voll im Zeitplan. Eigentlich.

S¨¹dafrika. Ein Land mit wundersch?nen Naturparks, einer Artenvielfalt, die ich bisher nur aus Filmen kannte, einer Offenheit & Freundlichkeit der Menschen wie wir sie in Deutschland vielerorts vermissen und gleichzeitig einer sozialen Ungleichheit zwischen arm und reich wie sie gr??er nicht sein k?nnte. Ein Land mit paradiesischen Str?nden, einer unglaublich spannenden, vielf?ltigen Kultur mit 11 (!) nationalen Landessprachen und gleichzeitig einer der gr??ten Kriminalit?tsraten weltweit. S¨¹dafrika? Da willst du hin? Ja!

Es ist Mitte M?rz. Die Surfboards aufs Dach unserer ?Rusty Lady¡° gespannt, sind wir als 10er Gruppe unterwegs auf der Garden Route. Endstation: Kapstadt. Die ersten Tests und Zwischenklausuren an der Nelson Mandela University (NMU) waren geschrieben, Term 1 von 2 im s¨¹dafrikanischen Semestermodell abgeschlossen und die freie Ferienwoche stand vor der T¨¹r. Die Vorfreude auf den Trip war riesig und dennoch etwas getr¨¹bt. Die ersten wenigen COVID-19 positiv getesteten F?lle im Land wurden k¨¹rzlich bekannt, und noch vor Beginn des Roadtrips bekommt man von den ersten internationalen ±Ø²©ÓéÀÖ,±È²©ÓéÀÖÍøÖ·den mit, dass eine fr¨¹here Heimreise geplant ist. Reisen war zwar (noch) erlaubt, dennoch wurde auf einmal schnell klar, dass es der letzte Trip werden k?nnte. T?glich kommen neue Infos, wie Corona die ganze Welt lahmlegt und nun, mit Verz?gerung, auch vor Afrika keinen Halt macht. Kurz vor Stellenbosch dann die Hiobsbotschaft: 21-t?giger Lockdown im ganzen Land, Beginn in drei Tagen. Super. Kapstadt gecancellt, aber zum Gl¨¹ck noch mit Wine-Tasting-Erfahrung ging es nur noch zu viert wieder zur¨¹ck nach Port Elizabeth, rechtzeitig bevor die Provinzgrenzen zwischen Western und Eastern Cape geschlossen wurden. Jetzt, Anfang Juli, sind mittlerweile mehr als 100 Tage Lockdown vergangen.

In einer der strengsten Ausgangssperren der Welt wurde das ?ffentliche Leben in S¨¹dafrika komplett stillgelegt. Au?er systemrelevanten Berufen wurde das Arbeiten eingestellt, jeder musste zu Hause bleiben. Anders als in Deutschland durfte man sich unter Lockdown Level 5 drau?en nicht frei bewegen ¨C lediglich der Gang zum Supermarkt oder zum Arzt war erlaubt. Es herrscht viel Unklarheit dar¨¹ber, was gerade geschieht, wie es weitergehen soll und man fragt sich: Warum ausgerechnet jetzt? Alle paar Tage kommt ein neuer ?Landesleute-Brief¡° des Ausw?rtigen Amtes ¨¹ber Infos zu R¨¹ckholfl¨¹gen (in einen der Briefe hatten wir es sogar geschafft erw?hnt zu werden). Viel hatte nicht gefehlt, dann w¨¹rde ich diesen Bericht gerade von Deutschland aus schreiben. Karfreitag dann die Entscheidung. Alle auf der Krisenvorsorgeliste des Ausw?rtigen Amtes registrierten ¨¹briggebliebenen ±Ø²©ÓéÀÖ,±È²©ÓéÀÖÍøÖ·den erhielten die Nachricht ¨¹ber einen Platz in einem R¨¹ckholflieger. War¡¯s das?

Von anf?nglich ¨¹ber 80 Deutschen Auslands±Ø²©ÓéÀÖ,±È²©ÓéÀÖÍøÖ·den an der NMU in Port Elizabeth sind wir schlie?lich noch zu siebt ¨¹briggeblieben. Wir haben uns entschieden, die M?glichkeit eines R¨¹ckholfluges des Ausw?rtigen Amtes nicht wahrzunehmen und das Semester hier in S¨¹dafrika zu Ende zu bringen. Untergebracht mit vielen weiteren Einheimischen im Studentenwohnheim, geht das Semester nun via Online-Learning weiter.

Obwohl bereits zu Beginn des Lockdowns von der Uni verk¨¹ndet wurde, dass das Semester auf jeden Fall zu Ende gebracht werden soll, war lange nicht klar wie genau. Aus urspr¨¹nglich einer Ferienwoche wurden zwangsl?ufig f¨¹nf. Weg vom deutschen Standard, in dem ein Laptop zur Grundausstattung f¨¹r ein Studium geh?rt, ist in S¨¹dafrika nicht sichergestellt, dass jeder ±Ø²©ÓéÀÖ,±È²©ÓéÀÖÍøÖ·de ¨¹berhaupt Zugang zu flie?endem Wasser im Eigenheim hat. Dennoch war und ist die NMU bem¨¹ht, niemanden auf der Strecke zu lassen. Schlie?lich wurden zwei ?Pathways¡° entwickelt, um das aktuelle Semester zu Ende zu bringen. W?hrend der Gro?teil der ±Ø²©ÓéÀÖ,±È²©ÓéÀÖÍøÖ·den sich dazu entschied, mit Pathway 1 das Semester online weiterzuf¨¹hren, wird der geringere Rest der ±Ø²©ÓéÀÖ,±È²©ÓéÀÖÍøÖ·den bei Pathway 2 zun?chst durch ausgedruckte Lernunterlagen versorgt und sp?ter durch vereinzelte Vorlesungen in Kleingruppen auf dem Campus betreut. Die Uni stellte kurzerhand ¨¹ber 1.000 Laptops zur Verf¨¹gung, 3.500 weitere wurden erst k¨¹rzlich verteilt, um so vielen wie m?glich den Zugang zu Online-Learning zu erm?glichen. Durch die Bereitstellung von 30 GB Datenvolumen pro Monat f¨¹r alle der ¨¹ber 28.000 ±Ø²©ÓéÀÖ,±È²©ÓéÀÖÍøÖ·den, bekommt man wirklich das Gef¨¹hl, dass sich die Uni um einen k¨¹mmert und jedem die m?glichst besten Voraussetzungen bieten m?chte. Dadurch, dass Pr¨¹fungs- und Abgabetermine von Hausarbeiten gemeinsam mit den Professoren und Lehrbeauftragten auf einfachstem Wege in Whatsapp-Gruppen verhandelt werden (und gerne auch verschoben werden), k?nnte man meinen, dass die ±Ø²©ÓéÀÖ,±È²©ÓéÀÖÍøÖ·den doch ein Mitspracherecht haben k?nnen. Durch digitale Vorlesungen auf Teams oder Zoom wurde nat¨¹rlich auch hier Neuland betreten, was von Prof. zu Prof. unterschiedlich gehandhabt wird.

Die Entscheidung, das Auslandssemester nicht fr¨¹hzeitig abzubrechen, hierzubleiben und zu hoffen, dass es vielleicht alles gar nicht so schlimm werden w¨¹rde, war nicht die Einfachste. Vor allem mit dem Hintergedanken, dass der Peak der Krise noch bevorsteht. Sp?testens aber seit dem 01. Juni, bin ich mir sicher, dass es die richtige Entscheidung war. Nach 66 Tagen strenger Ausgangssperre das erste Mal wieder zum Sonnenaufgang das Surfboard zu wachsen, um sich im 100 m entfernten Indischen Ozean in die Wellen zu werfen, ist einer der vielen G?nsehaut-Momente, die mir noch lange in Erinnerung bleiben werden. Die Vorfreude in den langen Warteschlangen vor den wieder ?ffnenden (Liquor-)Shops war bei allen zu sp¨¹ren. Ein St¨¹ck weit zur¨¹ck zur Normalit?t. Jetzt, nachdem Restaurants wieder zur Bewirtung aufmachen und endlich der Uni-Shop wieder ?ffnet, kann doch noch der ToDo-Punkt des NMU-Hoodies abgehakt werden!

Auf dem Uni-Campus zu sehen, wie Affen einem das Essen aus der Hand stehlen, unter Palmen mit Blick aufs Meer zur¨¹ck ins Wohnheim zu radeln oder aber das nicht vorhandene Gesangstalent einmal mehr bei Barneys Karaoke Tuesday unter Beweis zu stellen ¨C wie w?re das Semester nur ohne Corona weitergegangen?

Jetzt, Anfang Juli und immer noch in S¨¹dafrika, bin ich mehr als gl¨¹cklich immer noch hier zu sein. Ohne den Lockdown h?tte ich wohl nie erfahren, wie man durch das Ansetzen von Ananasbier selbst zum s¨¹dafrikanischen Braumeister werden kann, wie ein traditionell gekochter afrikanischer Schweinekopf schmeckt oder, dass das Gym im sechsten Stock nicht nur f¨¹r den Meerblick gut ist. Den viel engeren Kontakt zu Einheimischen seit Beginn von Corona w¨¹rde ich keinesfalls missen wollen. Viele, mittlerweile enge Freundschaften und ein viel n?herer Bezug zu afrikanischen Lebensgewohnheiten und Sichtweisen auf die Welt sind in den letzten Wochen und Monaten entstanden. Auch kulinarisch konnten wir uns schon mit den S¨¹dafrikanern austauschen. Afrikanisches Essen (Spoiler: meist Fleisch) vs. schw?bische K?sesp?tzle. Wie so oft, klingt alles immer ein bisschen schlimmer als es wirklich ist.

Wie lange das aktuelle Semester geht, h?ngt individuell von jedem einzelnen Modul ab - bei meinen allesamt baubezogenen F?chern wird das Semesterende gegen Ende Juli/ Anfang August prophezeit. Das ohnehin h?here Arbeitspensum verglichen mit einem Semester an der HFT wurde durch den Corona-Einschnitt nicht gerade vereinfacht. Der Gro?teil ist froh, wenn das Online-Semester zu Ende ist und sehnt sich wieder nach regul?rem Uni-Betrieb. Und tats?chlich: Seit Anfang Juni, seit das Land sich in Lockdown Level 3 befindet, werden schrittweise 33% aller ±Ø²©ÓéÀÖ,±È²©ÓéÀÖÍøÖ·den wieder auf den Campus zur¨¹ckgerufen, vorrangig Pathway 2-Learner und Final-Year-Students.

Aufgrund der Winterzeit sind die Tage derzeit sehr viel k¨¹rzer als zu Beginn des Semesters, wor¨¹ber man bei milden Wintertemperaturen bis zu 25 Grad in Port Elizabeth aber hinwegsehen kann. Zwischen Hausarbeiten & Tests f¨¹r die NMU und vorgezogenen F?chern an der HFT, l?sst der Corona-Alltag nun auch wieder kleine Tagesausfl¨¹ge zu. Neben dem Meditieren habe ich das Surfen als neues Hobby f¨¹r mich entdeckt, was mich nicht zuletzt f¨¹r den Start der neuen Kreisliga-Saison f¨¹r den TSV 3 meines Heimatvereins fit h?lt.  

Bei aller Euphorie: Mit Blick auf die immer noch stark steigende Zahl der positiven Corona-F?lle, stehen dem Land schwere Wochen und Monate bevor. Die erst k¨¹rzlich wieder verh?ngte n?chtliche Ausgangssperre und das erneute Alkoholverkaufsverbot sind die Antwort der Regierung auf den angek¨¹ndigten H?hepunkt der Pandemie. An allen weiteren Lockerungen wurde festgehalten, vor allem aus wirtschaftlichen Gr¨¹nden. Bis in S¨¹dafrika wieder Normalit?t einkehrt, wird es wohl noch eine lange Zeit dauern.

Der urspr¨¹ngliche Plan der Reise wird so nicht funktionieren, das steht fest. Dennoch h?lt mich nichts davon ab, immer noch unglaublich wertvolle Erinnerungen zu sammeln und einzigartige Momente zu erleben. Die Zeit meines Auslandsaufenthaltes wird mich mein Leben lang pr?gen. Trotz oder vielleicht sogar gerade wegen Corona. Von wo aus auch immer mein R¨¹ckflug gehen wird: Am Ende des Tages wird ein gro?es St¨¹ck Dankbarkeit mit zur¨¹ck nach Deutschland fliegen.